ARCHIV Januar 2011


eule

BLACKY


Welch ein herrlicher Tag, endlich schien die Sonne wieder. Tine sprang aus dem Bett, riss die Fenstervorhänge zur Seite und lachte die Sonne an. Bei solch einem schönen Start in den Tag konnte mit der Mathearbeit heute nichts mehr schiefgehen. Sie hatte den ganzen letzten Nachmittag noch mit Marie und Setenay geübt, Mama hatte die Lösungen ihrer Aufgaben überprüft, alles war richtig. Kein Grund zur Beunruhigung.


Wie lange hatte sie auf besseres Wetter gewartet, damit sie endlich Blacky einmal wieder frei im Garten herumlaufen  lassen konnte. Jetzt war es soweit. Tine hopste durch ihr Zimmer auf den Käfig ihres Zwergkaninchens zu, zog das Tuch vom Käfig mit einem eleganten Dreher durch die Luft – und erstarrte. Blacky lag auf der Seite und sah so vollkommen anders aus. Blacky, was ist, was hast du, mein Kleiner? Sie wagte kaum, ihn mit der Fingerspitze anzustupsen, Blacky reagierte nicht, seine schwarzbraunen Augen blickten einfach an ihr vorbei, sie blieben so regungslos wie sein ganzer Leib.


Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Mit einem Aufschrei, der durch das ganze Haus gellte, machte Tine ihrer Verzweiflung Luft. Mama kam ganz erschrocken herbeigerannt und wollte nach dem Rechten sehen, glaubte Tine hätte sich verletzt, wäre hingefallen oder irgend etwas anderes wäre ihr zugestoßen. Als sie dann Tine vor dem Käfig knien sah, nahm sie mit einem Blick wahr, was sie so fassungslos gemacht hatte. Sie drückte sie ganz fest an sich und versuchte sie zu trösten. Aber all die schönen Worte vom herrlichen Kaninchenhimmel, in dem Blacky jetzt bestimmt über saftige Weiden hoppelte und leckere Löwenzahnblätter nibbelte, konnten Tine nicht beruhigen. Ihr liebstes Kuscheltier war einfach fortgegangen, dabei hatte Blacky doch noch gestern kerngesund ausgesehen.


Es brauchte einige Zeit, bis Mama sie etwas beruhigen konnte. Erst wollte sie nicht frühstücken, dann wollte sie nicht zur Schule und die Mathearbeit sausen lassen. Doch Mama redete ihr gut zu, schließlich bekam sie doch ein paar Bissen ihres Marmeladenbrotes herunter, trank einige Schluck ihres morgendlichen Kakaos. Sie hatte sich soweit beruhigt, dass sie sich anziehen konnte, den Schulranzen auf den Rücken schnallte und mit gesenktem Kopf zur Bushaltestelle ging. Mama hatte ihr noch versprochen, am Nachmittag Blacky im Garten zu beerdigen, sie würde einige Blumen auf das Grab pflanzen und ganz fest an Blacky denken.


Im Bus traf sie Marie und Setenay, wieder rollten die Tränen ihre Wangen hinab. Die beiden Freundinnen wollten alles genau wissen, versuchten sie zu trösten. An die Mathearbeit dachte keiner mehr in diesem Augenblick. Aber als sie dann in der Klasse saßen und Frau Stemmer mit den Heften unterm Arm hereinkam, stürmten alle Kinder auf sie zu und erzählten ihr von der traurigen Neuigkeit. Frau Stemmer sah, wie aufgewühlt die Klasse war, packte die Hefte in das Pult und entschied, dass an diesem Tag keine Arbeit geschrieben werden würde. Die Kinder dankten es ihr mit großer Erleichterung. Dann wurde aus der Mathestunde eine Erzählstunde. Fast alle Kinder hatten irgendein Haustier oder ein Lieblingstier, über das sie heute erzählen durften. Die Geschichten waren spannend, lustig aber hier und da auch traurig, denn was Tine heute mit Blacky passiert war, diese Erfahrung hatten auch andere Kinder der Klasse schon gemacht. Allen hatte es sehr weh getan, aber die Freude über die gemeinsam verbrachte Zeit strahlte auch jetzt noch aus ihren Erzählungen.


BLACKY (Kurzversion)


Ein dicker Kloß in ihrem Hals nahm Tine fast die Luft, ein nicht endender Strom von Tränen rollte über ihre Wangen. Fassunglos stand sie vor dem Käfig ihres Zwerg-kaninchens Blacky. Seine schwarzbraunen Augen blickten leer an ihr vorbei, steif streckte es seine Beinchen von sich. Noch gestern war Blacky quicklebendig gewesen. Heute morgen war Tine endlich einmal wieder mit der Sonne am Himmel aufgewacht, sie hatte sich schon darauf gefreut, Blacky nach der Schule frei im Garten herumlaufen zu lassen. Und jetzt lag ihr liebstes Kuscheltier regungslos vor ihr.


Tines Mama hatte ihren entsetzen Aufschrei, der durch das ganze Haus gellte, gehört. Sie war herbeigeeilt und hatte mit einem Blick erkannt, warum Tine so fassungslos war. Sie versuchte sie zu beruhigen, drückte sie ganz fest an sich und sprach schöne Worte von einem herrlichen Kaninchenhimmel, in dem Blacky jetzt bestimmt über saftige Weiden hoppelte und leckere Löwenzahnblätter nibbelte. Aber Tine war todunglücklich, nichts konnte ihren Kummer besänftigen, nichts sie wirklich trösten. Ihre Mama versprach, sie wollten gemeinsam Blacky am Nachmittag im Garten beerdigen, sie würden Blumen auf das Grab pflanzen und ganz fest an Blacky denken.


Nur schwer gelang es Tine, sich an diesem Morgen für die Schule fertig zu machen. Ihre Freundinnen Marie und Setenay erfuhren auf der Busfahrt zur Schule, was geschehen war. Eigentlich sollte heute eine Mathearbeit geschrieben werden, auf die die drei Freundinnen sich am Vortag noch so gut vorbereitet hatten. Aber als ihre Lehrerin Frau Stemmer sah, wie aufgewühlt die ganze Klasse war, verschob sie die Arbeit und ließ die Kinder von ihren Erlebnissen mit lieb gewonnenen Tieren erzählen. Auch andere Kinder hatten traurige Trennungen von ihren Lieblingstieren erlebt, aber alle erinnerten sich noch gerne an gemeinsam erlebte schöne Stunden.


Tut mir leid, die hier zunächst veröffentlichten Texte sind jetzt nur noch im Persen-Verlag erhältlich:

textbuch



                                                                           

KRACHER


Der dumpfe Schlag war durch das ganze Schulgebäude zu hören. Hastende Schritte über den Korridor, eine Tür schlug zu. Stille. Gespannt schauten die Mädchen und Jungen der 6c zu ihrem Klassenlehrer. Jeder wusste, was gerade geschehen war. Und das war verboten. Niemand durfte auf dem Schulgelände Silvesterkracher zünden. Herr Martens ließ sich aber nicht aus seinem Konzept bringen, er blickte nur kurz auf, runzelte die Stirn und setzte dann seinen Deutschunterricht fort. Enttäuschung bei den Kindern, irgendeine lautstarke, vielleicht wütende Reaktion hätten sie schon gerne gesehen.


Die nächste Pause brachte zu Tage, was geschehen war. Aufgeregt und entrüstet stürmten die SV-Mitglieder in das Schulsekretariat und wären am liebsten direkt in das Büro des Schulleiters weitergelaufen, hätte Frau Quader sie nicht aufgehalten. „Halt, wo wollt ihr hin? Das geht so nicht, Herr Büskens ist beschäftigt. Da könnt ihr nicht so reinplatzen.“ „Müssen wir aber, jemand hat unseren Meckerkasten zerstört.“ Patrizia konnte ihre Wut kaum unterdrücken. „Total zerrissen, dafür muss der Mistkerl büßen!“


So, so, du weißt also schon, dass es ein Junge war,“ warf Frau Quader ein. „Mädchen machen so etwas nicht,“ entgegnete Patrizia. „Na, das wollen wir erst einmal so stehen lassen,“ zweifelte die Sekretärin. Mittlerweile war Herr Büskens auf den Aufruhr vor seinem Büro aufmerksam geworden. Als er aus der Tür trat, überfielen ihn die SV-Kinder mit ihrem Ärger. „Na, dann lasst mich doch erst einmal sehen, was geschehen ist,“ versuchte er zu beruhigen und verließ mit der Gruppe im Schlepptau das Sekretariat.


Der Meckerkasten sah schlimm aus, die heftige Explosion hatte die verschlossene Tür aus der Verankerung gerissen, verkohlte Zettel lagen verstreut auf dem Boden davor. Selbst die Wand war in Mitleidenschaft gezogen worden, ein schwarzer Rußhof verteilte sich um das Zentrum der Zerstörung. „Das sieht wirklich arg aus“, wandte sich Herr Büskens an die Kinder, „muss einer dieser billigen aber gefährlichen China-Böller gewesen sein. Da wird jemand ganz schön viel bezahlen müssen. Aber erst einmal müssen wir den Bösewicht finden.“


Die nun folgende Flut von Verdächtigungen hörte sich der Schulleiter in Ruhe an. Es wurden schnell die Namen jener Jungen genannt, die sich schon öfters mit Verstößen gegen die Schulordnung hervorgetan hatten. „Das ist ja alles interessant, aber wir brauchen Beweise. Haltet also Augen und Ohren offen, dann werden wir schon herausfinden, wer den Kasten in die Luft gejagt hat.“ Die SV-Kinder waren enttäuscht, dass die von ihnen benannten Jungen nicht gleich beim Schulleiter antanzen mussten. Ihr schöner Meckerkasten, der erst seit wenigen Wochen an der Wand vor der Mensa hing, hatte schon gute Dienste geleistet. Manches, was Schülerinnen und Schüler nicht offen auszusprechen wagten, war ihnen so zu Ohren gekommen. Die auf den Meckerzetteln genannten Probleme konnten so durch Vermittlung der SV bei Lehrern wie Schülern angesprochen und hier und da auch beseitigt werden.


Das Pausenzeichen ertönte, Schulleiter Büskens forderte sie auf, wieder in ihre Klassen zurückzugehen. Es würde sich bestimmt alles aufklären. Missmutig verließen die Kinder den Ort des Anschlages, laut lamentierend machten sie sich auf den Weg. Die Klassentüren hatten sich gerade wieder geschlossen, der Unterricht begonnen, als abermals eine Explosion durch das Haus hallte, diesmal aber gefolgt von einem schrillen, hohen Schrei.

Kracher (Kurzversion)


Der Meckerkasten war nur noch ein einziges Wrack, die Explosion hatte ihn total zerrissen. Jeder musste den Knall gehört haben, der Unterricht hatte gerade erst wieder begonnen. Das Zünden von Silvesterkrachern in der Schule war strikt untersagt, wer es trotzdem tat, würde mit einer saftigen Strafe rechnen müssen.


Das interessierte die Mädchen und Jungen der SV aber herzlich wenig, als sie in der folgenden Pause vor dem Chaos standen. Der Kasten zerstört, die Wand geschwärzt, zerfetzte Zettel auf dem Boden verstreut. Wütend sammelten sie die "Meckerbriefe" auf. Wer konnte nur so gemein sein? Der Meckerkasten kam doch allen zu Gute. Wie oft hatte in den letzten Wochen, seit der Kasten hier neben der Mensatür hing, dieser Weg, um Rat und Hilfe zu suchen, nicht schon geholfen, Schülerinteressen zu vertreten und auch zu verteidigen.


"Halt, hier könnt ihr nicht einfach so durchlaufen!", hielt sie die Sekretärin auf, als die SV-Gruppe aufgeregt an ihr vorbei ins Rektorzimmer stürmen wollte, "Herr Büskens ist beschäftigt, da müsst ihr einen Augenblick warten. Wo brennt's denn?" Schon prasselte ein Schauer von wütenden und anklagenden Sätzen auf sie herab, bis Frau Quader nur noch abwehrend die Hände hochstrecken konnte und um etwas mehr Ruhe bat.


Aber als Herr Büskens mit einer Lehrerin aus seinem Büro trat, bestürmte ihn die Gruppe mit der gleichen Heftigkeit. Erst als er sich ihnen anschloss, um den Schaden selbst in Augenschein zu nehmen, beruhigten sich die Gemüter ein wenig. "Das sieht wirklich schlimm aus," bekräftigte Herr Büskens die Enttäuschung der SV-Kinder, "dafür wird jemand zahlen müssen."


Schnell waren die Kinder mit ersten Anschuldigungen bei der Hand, aber ohne Beweise - so ihr Schulleiter - konnte man niemanden zur Rechenschaft ziehen. "Also, haltet die Augen offen, vielleicht erwischt ihr den Übeltäter ja auf frischer Tat. So, und jetzt geht ihr erst einmal wieder zurück in eure Klassen." Die Pause war gerade zu Ende gegangen. Missmutig zog die Gruppe von dannen.


Es waren erst wenige Augenblicke der neuen Unterrichtsstunde vergangen, als wieder ein Knall das Schulgebäude erschütterte, nur war er diesmal mit einem wehklagenden Aufschrei verbunden.